„Ich habe über verschiedene Arten von Liebe gesprochen: familiäre, freundschaftliche, romantische und selbstlose Liebe (Agape). Die erlösende Liebe übertrifft sie alle. Die erlösende Liebe kann als herabfließende Energie beschrieben werden. Sie ist damit anders als das Aufsteigen bei der Befreiung aus der Identifikation mit dem Ego. Sie ist eine Gnade, nicht vom Ego erzeugt, sondern sie wird empfangen, wenn wir den Widerstands gegen das Leiden aufgeben.
Das Ego ist nichts Böses. Es ist einfach nur ein Denkprozess, der sich selbst erschafft und Leid verursacht. Es versucht, Leid zu vermeiden, und erzeugt durch Angst noch mehr Leid. Die erlösende Liebe ist eine Hingabe an das, was ist, d.h. den gegenwärtigen Moment ohne Widerstand zu erfahren. Diese Zustimmung, die Vereinigung mit dem Augenblick, löst die Grenzen des Egos auf. Es ist eine Hingabe an eine Kraft jenseits des Selbst, sei es an Gott, an eine kosmische Intelligenz oder an die Liebe. Das Ego ist selbstorientiert und bleibt gefangen. Es sieht nur seine begrenzte Sicht. Die erlösende Liebe öffnet dich jedoch dem Unendlichen, dem Unbekannten.
Das Leiden verengt unsere Sicht der Dinge und verstärkt den Griff des Egos. Aber extremes Leid kann diesen Widerstand brechen und uns für die Gnade öffnen. Wir müssen jedoch nicht die Verzweiflung anstreben. Wir können den Widerstand bewusst aufgeben und uns für die erlösende Liebe öffnen.
Sie ist eine Reinigung der Wahrnehmung, ein Sehen durch die Augen der Ewigkeit. Die erlösende Liebe reinigt alles, was sie berührt, und bringt alles in Ordnung. Sie beginnt, wenn das Ego aufhört, dem Leid zu widerstehen, ob dem persönlichen Leid oder dem Leid in der Welt. Das Gefühl der Überforderung kommt vom Widerstand gegen das Leid, nicht vom Leiden selbst. Wir halten das Leiden durch unser Urteilen, unsere Vorstellung von Schuld und Groll aufrecht. Das Erkennen, wie wir das Leiden aufrechterhalten, ist der Schlüssel. Die erlösende Liebe ist ein Herabfließen des Himmels in die Welt, eine bereitwillige Verkörperung der Form, eine Erlösung des inkarnierten Lebens.
Stell dir dein Leben als einen Akt der Liebe vor, der alle Unwissenheit und allen Schmerz erlöst. Dieses bedingungslose “Ja” zum Leben, mit all seinen Schwierigkeiten, ist das Wesen der erlösenden Liebe.
Wir öffnen uns dieser Liebe, indem wir die Opferrolle aufgeben, nicht indem wir unsere Vergangenheit vergessen, sondern indem wir ihre Fesseln überwinden. Die erlösende Liebe verwandelt das Leiden, nicht durch die Spiele des Egos, sondern durch Hingabe. Das Ego widersteht, indem es Vergnügen sucht und Schmerz vermeidet. Die erlösende Liebe reinigt uns von diesen Geschichten, indem sie dem, was ist, der Vergangenheit und der Gegenwart zustimmt. Sie erlaubt uns, das Leben so zu sehen, wie es ist. Wahre Liebe ist weise, aus dem tiefsten Grund des Seins.
Wir müssen uns von allen Geschichten lösen, um diese Liebe zu erfahren. Kannst du ohne Erzählung leiden? Kannst du das Leben durch die Augen der Ewigkeit sehen? Die Welt ist nur real, wenn du sie als ultimative Realität siehst. Form und Formlosigkeit sind eins. Alle Geschichten, auch spirituelle, müssen sich schließlich auflösen.
Gib anderen die Freiheit, so zu sein, wie sie sind, und befreie dich von ihren Wahrnehmungen.
Frag dich: “Wie kann ich in dieser Welt am nützlichsten sein?”, anstatt “Was will ich?”.
Die erlösende Liebe findet uns an der Grenze unseres Willens, jenseits des Widerstands. Sie will verkörpert und der Welt gegeben werden.“
Adyashanti: Redemptive Love, Lecture 1, überarbeitet und stark zusammengefasst.