Was ist Fühlen?

Wie fühlst du dich? Die Frage nach deinem Befinden ist dir sicherlich geläufig, aber hast du dich schon einmal gefragt, was Gefühle eigentlich sind?

Über Gefühle zu reden und zu schreiben ist nicht dasselbe wie fühlen. Worte sind Worte und Gefühle sind Gefühle. Gibt es in deinem Leben Situationen, in denen du eher über Gefühle redest, als Gefühle zu fühlen? Wann hilft es, über die Gefühle zu sprechen und wann entfernt es dich von der unmittelbaren Erfahrung des Fühlens?

Was meinst du, wenn du von Fühlen sprichst?

Projektionen

Ich habe das Gefühl, dass du…, Das fühlt sich für mich falsch an. Diese und ähnliche Wendungen beschreiben Gedanken, in der Regel Interpretationen und Projektionen. Ohne Sinnverlust können wir in diesem Fall das Wort fühlen durch denken ersetzen. Probiere mal, welche typischen Sätze du in dieser Kategorie verwendest. Dabei kommst du vielleicht auch in Kontakt mit dem jeweiligen, wesentlichen Gefühl, das mit solchen Sätzen verbunden ist. Wenn du einen Gedanken äußerst, könnte dein Gesprächspartner diesen Infragestellen. Sprichst du dann lieber über dein Gefühl, damit du es nicht anschauen und erklären musst?

Intuition

Ich koche nach Gefühl und nicht nach Rezept. Er hat ein gutes Ballgefühl. Mein Bauchgefühl sagt mir…. Diese und ähnliche Wendungen beschreiben unsere Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ohne dass uns die zu Grunde liegenden Prozesse in unserem Unterbewusstsein bekannt sind. Andere Worte dafür sind Intuition oder schnelles Denken. Diese Fähigkeiten sind für unser Überleben essenziell. Niemals könnten wir auch nur einen Schritt tun, wenn wir uns bewusst für die Aktivierung von jedem einzelnen Muskel entscheiden müssten. Nicht immer sind sie uns jedoch nützlich. Beispiele: Wir greifen zu dem überteuerten Produkt, weil uns die Werbung vertraut ist. Wir bewerten Menschen schnell nach ihrem Aussehen, noch bevor wir mit ihnen in Kontakt treten. Wir denken und handeln so, wie wir schon immer gehandelt haben. Uns unterlaufen die typischen Denkfehler. Wir haben Angst vor Veränderung, weil wir dann nicht nach unserer Intuition handeln können.

Das Nervensystem reagiert

Durch Aktivierung (Sympathikus) versus Entspannung (Parasympathikus) sowie Hin-Zu (Appetenz) versus Weg-Von (Aversion) werden unsere Körpersysteme unbewusst gesteuert. Im Zusammenspiel mit unserem Denken machen wir daraus ein bestimmtes Gefühl wie Wut, Angst oder Freude.

Wir sind unseren Nerven glücklicherweise nicht hilflos ausgeliefert. Wir können die Reaktion bewusst bemerken und dann auf das autonome Nervensystem einwirken – zum Beispiel in dem wir auf etwas anderes fokussieren oder mit unserem Verstand prüfen, ob Angst gerade das passend Gefühl ist. Wenn wir merken, dass derartige Reaktionen unserem Reifen entgegenstehen, lohnt es sich, die unbewussten Bewertungsschritte zwischen Aktivierung, Einordnung und Reaktion genauer anzuschauen.

Es ist wie an einem Karussell

Oft scheint unser Gefühl unpassend oder viel zu stark im Verhältnis zu der aktuellen Situation. Die Gefühle drehen sich zusammen mit den Gedanken im Kreis, da kommt schon wieder das rosa Einhorn vorbei. Ein wildes Ringelreihen aus scheinbar frischen Gedanken und alten Gefühlen. Wir frieren ein oder gehen ins Drama. Es gibt nur eine vage Erinnerung daran, dass wir uns als Kind so ähnlich gefühlt haben.
Bei nüchterner Betrachtung kann dieser Anlass aber nicht die Intensität des Gefühls erklären. Was tun? Hier gilt es, einen guten Kontakt mit der Gegenwart und sich selbst herzustellen und behutsam in Verbindung mit unserem jüngeren Ich zu treten. Besonders bewährt hat sich die Gegenwart einer präsenten Person, die nicht reagiert. In diesem Gefäß darf sich das alte Gefühl zeigen und schrittweise auflösen. Scheue dich nicht ggf. um professionelle Hilfe zu bitten. Mit zunehmender Übung im spürenden Gewahrsein kannst du lernen dir selbst beizustehen.

Empörung

Das geht ja gar nicht! Wie konnte er nur! Das ist doch selbstverständlich! Das sind so schlechte Menschen. Diese und ähnliche Sätze sind uns vertraut, auch wenn wir sie vielleicht nicht laut aussprechen. Unser inneres, oft unbewusstes Bild einer besseren Welt wird in der Realität häufig nicht erfüllt.  Schön, wenn wir uns dann mit anderen zusammen für eine bessere Welt engagieren und die uns möglichen Schritte gehen. Leider stecken wir jedoch eher in einer tatenlosen, d.h. fruchtlosen Empörung fest, verbunden mit einem Gefühl der Hilflosigkeit. Schauen wir genauer hin, steht am Anfang die unbewusste Selbstüberschätzung, dass die Welt nach meinen Vorstellungen gestaltet sein sollte. Und alle anderen Menschen sollten selbstverständlich meinem Maßstab folgen. Im Unterschied zu meinem persönlichen, aktuellen Bedürfnis habe ich hier eine Überzeugung, ein Urteil, eine feste Meinung. Diese Sorte Gefühle sind leider der ultimative Weg, um unglücklich und allein zu sein. 

Genetische Programmierungen

Erkennbar sind sie daran, dass wir einrasten oder ausrasten, in hohem Maße ohne unser Zutun. Beispiele sind Verliebtheit, verlassen zu werden,Wut und Aggressionen, wenn wir uns überflutet fühlen, Enge, wenn wir uns um das nächste Essen sorgen oder fürchten. Sie mischen sich mit den anderen Sorten von Gefühlen und sind dann nicht immer klar zu erkennen. Im Kontext von Liebesbeziehungen interessieren uns die genetischen Programmierungen zur Partnerwahl, zum Verlieben und zur Eifersucht.

Körperempfindungen

Ich fühle mich angespannt, ich hab so ein flaues Gefühl im Magen, ich fühle mich elend, meine Stirn kräuselt sich. Mit solchen Sätzen beschreiben wir unsere Körperempfindungen. Keine Frage, manchmal sind sie eine gute Spur, um zu unseren Emotionen vorzudringen, oft sind sie aber einfach nur Körperempfindungen. So etwas wie, mir ist kalt, vielleicht haben ich zu viel gegessen, ich sitze verspannt oder ich denke zu angestrengt nach.

Gefühlskräfte

Es handelt sich um Freude, Trauer, Wut, Scham und Angst. Ihnen geht eine unbewusste Bewertung voraus und sie sind eine wichtige Kraft, uns durch das Leben zu navigieren.
Bei genauer Erforschung wird deutlich, dass sie oft in Kombination auftreten und uns dann verwirren können. Ein Beispiel hierfür ist die Hilflosigkeit, welche eine Mischung aus Trauer und Wut darstellt. In solchen Momenten wünschen wir uns, dass die Situation anders wäre, als sie ist. Gleichzeitig sind wir jedoch unsicher, ob wir aktiv handeln (wofür die Wutkraft steht) oder eher in die Akzeptanz gehen. Letztere ermöglicht es uns die Realität anzunehmen, wie sie ist (wofür die Trauerkraft steht). Der Umgang mit diesen emotionalen Kräften bildet den Schlüssel zur emotionalen Autonomie und ist eine Fertigkeit, die erlernt werden kann.

Heilende Kraft

Im spürenden Gewahrsein geht es um unsere mitfühlende Präsenz mit unseren Körperempfindungen und Gefühlsbewegungen im gegenwärtigen Augenblick. Wir distanzieren uns dabei von unseren (Selbst-)Erzählungen und Gefühlsgewohnheiten, wenden uns unserem Innenleben jetzt freundlich und direkt zu. Wir begegnen uns weich, offen und berührbar. Wir erkunden neugierig dieses Innenleben und erfahren dabei, dass dies ohne Drama möglich ist. Diese emotionale Autonomie entfaltet schrittweise eine heilende Kraft.

komplexe Fähigkeiten

Dankbarkeit, Hingabe, Vertrauen, Annahme, Verbundenheit, Mitgefühl, Achtsamkeit und viele Formen der Liebe sind komplexe Fähigkeiten. Sie unterscheiden sich von den Gefühlskräften dadurch, dass wir sie im Laufe des Lebens entwickeln können – so wie andere Fähigkeiten auch. Dafür braucht es Ausrichtung, Anleitung und Übung.

Beobachten 

Manchmal benutzen wir das Wort Fühlen auch für Wahrnehmen, jedoch nicht im Sinne der Sinneswahrnehmungen oder Körperempfindungen. Vielmehr geht es darum ALLES entspannt zu beobachten, defocussiert die Gesamtheit der inneren und äußeren Welt im Bewusstsein zu halten und mich sanft hineinzulehnen. Dieses Wahrnehmen ist wie einfach Wach-Sein. Es setzt voraus, aus einem Raum der Stille zu lauschen. Wenn ich alles wahr-nehme, bedeutet es nicht, untätig zu bleiben. Oft ergibt sich eine frische Relation, ein Impuls, eine Bewegung daraus. Achtung! Sobald ich „etwas“ wahrnehme, erzähl ich (mir) nur eine Geschichte über meine emotionale, intuitive oder spirituelle Fantasie.

Gewahr – sein

So, wie ich das Herz betrachte, erscheint es mir als ein Gefäß für sämtliche Gefühle, Gedanken und Zustände. Es verbindet mich mit dem weiten Raum des transpersonalen Gewahrseins. In Momenten, in denen ich mich meinen Gefühlen, Gedanken und Zuständen zuwende und mich nicht mit ihnen identifiziere, sind das Herz und ich eins.

Inspirationen unter anderem von Adyashanti und Vivienne Dittmar.